Während der Coronazeit habe ich ein neues Hobby entdeckt: Scherben sammeln und daraus Kunst machen.
Diese fertigen Sachen bekommt ihr bei uns im Ladenatelier in der Bunsenstrasse 2 in Hamburg Ottensen (oder schickt mir eine Mail!).
Da ich das Ganze so spannend finde und so viel Neues erfahren habe, berichte ich auch hier mal, worum es überhaupt geht!
Woher kommen die ganzen Scherben in der Elbe?
Stell dir vor: du schlenderst am Strand entlang, und wie von selbst sind deine Taschen bald sandig und schwer von kleinen Schätzen.
Irgendwann hast du Sonnenbrand – oder bist durchgefroren, aber erfrischt – und neugierig:
Was hast du da überhaupt gesammelt?
Nach Spaziergängen am Hamburger Elbstrand habe ich z.B. immer viele, viele Keramikscherben in der Jackentasche.
Ich habe mich gewundert und recherchiert: Wo kommen diese Scherben her?
Wusstest du, dass nach dem 2. Weltkrieg tonnenweise Schutt aus dem zerstörten Hamburg als Uferbefestigung verwendet wurde?
Beim genauen Hinsehen entdeckst du bei den Elbe-Scherben tatsächlich oft Risse in der Glasur, krakelige Muster und sogar Brandspuren.
Diese Scherben müssen einiges erlebt haben!
Wem haben die Sachen wohl früher gehört? War das das Sonntagsgeschirr oder nur ein Fußboden? Kenne ich dieses Muster von Omas Geschirr? Und diese Jugendstilfliese aus Nachbars Hausflur?
Je länger ich mir die Scherben anschaue, desto mulmiger wird mir allerdings auch. Ein Krieg hat Lieblings-Dinge und Alltagsgegenstände zu gesichtslosen Trümmern gemacht. Ich weiß nicht, aus wessen Häusern die zerbrochenen Gegenstände stammen.
Wie fänden es wohl die Vorbesitzer, ihre Sachen heute nebeneinander in einem Mosaik wiederzufinden?
Denn genau das habe ich schließlich daraus gemacht: Neues aus Scherben mit Geschichte.
So gebe ich den mutwillig zerstörten und verloren gegangenen Dingen ihren Wert zurück. Die Spuren der Zeit bleiben dabei als Erinnerung und ästhetisches Element sichtbar.
Tiles will tell: Fliesen und Bruchstücke mit Geschichte
Wer genau hinschaut, entdeckt auf den Keramikstücken oft Brandspuren, die sich mit dem besten Putzmittel (ich hab einiges probiert!) nicht komplett entfernen lassen.
Bei der „Operation Gomorrha“ im Juli 1943 fielen über 100 000 Bomben auf Hamburg. Dieser„Feuersturm“ ließ sogar Glas schmelzen und hat höchstwahrscheinlich auch die Brandspuren auf den Fliesen, Porzellan- und Keramikscherben und verursacht.
Tatsächlich habe ich schon einige Stücke von bizzarr verformtem Glas gefunden, das den hohen Temperaturen nicht stand gehalten hat:
Manche Keramikteile dagegen haben offenbar über die Jahrzehnte mit anderen Materialien reagiert – das hat jahresring-artige Flecken hinterlassen, die sich nicht mehr entfernen lassen.
Ich habe dazu bei einem Archäologen nachgefragt: Es handelt sich tatsächlich um Rost. „Durch die große Menge an Eisenobjekten, die im Laufe der Zeit stark korrodieren, befindet sich sehr viel Eisenoxyd im Boden. Dieses lagert sich dann auch an den Scherben ab und hinterlässt diese Verfärbungen.“
fast 80 Jahre alte Kriegstrümmer aus der Elbe
Nach dem Krieg mussten die 43 Millionen (!) Kubikmeter Schutt des zerstörten Hamburg dann irgendwie wieder beseitigt werden.
Eine irre Menge: Sie reichte aus, um den kompletten Stadtteil Hammerbrook um mehrere Meter zu erhöhen. Es wurden Fleete verfüllt und Wege befestigt. Die künstliche Hügellandschaft im Öjendorfer Park entstand, aus Trümmern.
Und was dann noch übrig war, wurde im Alten Land an der Elbe ausgekippt.
Es reichte für einen gut 6 km langen, bis zu 4m hohen und gut 25 Meter breiten Wall aus Trümmerschutt – Müllentsorgung und Uferbefestigung in einem!
Und diese Trümmer werden bis heute nach und nach freigespült.
Wenn auf den angespülten Boden- und Wandfliesen noch die typischen Muster und Ornamente aus der Gründerzeit zu erkennen sind, freut sich die Sachenfinderin natürlich besonders.
Auch viele Geschirrbruchstücke – von feinem Porzellan bis zu rustikalem Steingut – liegen in der Elbe. Manchmal findet man auch Kristallglas oder sogar Uranglas im Sand und Schlick.
Glas von Tür-Scheiben ist dagegen häufig – die Muster kennt man auch heute noch aus vielen Altbauten:
Auch viele, viele quadratische Minikacheln (vielleicht von Bodenmosaiken im Hausflur?) bringe ich von fast jedem Ausflug an den Elbstrand mit:
Am häufigsten aber sind die einfarbig weißen Fliesen, bei denen die Glasur faszinierend morbide Risse bekommen hat.
Spannend und einzigartig! Ich finde, diese Scherben haben ein zweites Leben wirklich verdient!
1 Kommentar
[…] Es war einmal große Leere während Corona. Um nicht komplett durchzudrehen, war ich viel draußen und habe Scherben für Kunstprojekte gesammelt. Hier hatte ich schonmal darüber berichtet. […]